Es ist Einschulungszeit. Für viele Fünf- bis Siebenjährige beginnt eine aufregende Zeit. Mit dem ersten Schultag treten die Kinder eine Reise an, auf der sie nicht nur Lesen, Schreiben und Rechnen lernen. In den nächsten neun bis zwölf Schuljahren werden sie viele Stufen der persönlichen Entwicklung durchlaufen, Freundschaften schließen und sich verlieben. Im eDarling Exklusiv-Interview verrät Professor Dr. Inge Seiffge-Krenke, Leiterin der Abteilung Entwicklungspsychologie an der Universität Mainz, wie sich die Beziehungen zwischen Jungen und Mädchen von der Grundschule bis zur Oberstufe verändern.
eDarling: Wie stehen Jungen und Mädchen am Anfang der Schulzeit zueinander?
Professor Seiffge-Krenke: Sehr kleine Kinder, im Vorschulalter, spielen eigentlich mit jedem gerne, egal welches Alter oder Geschlecht. Wenn sie dann etwas älter werden, kurz vor der Einschulung, spielen sie zunehmend lieber mit Kindern des eigenen Geschlechts. Eltern werden zum Beispiel beobachten, dass bei den Mädchengeburtstagen dann noch ein einziger Junge dasitzt, der sich ganz unwohl fühlt.
In der Grundschule trennen die Kinder dann streng nach Geschlechtern. Das andere Geschlecht wird auch oft stark negativ gewertet: Die Mädchen finden die Jungen doof und die Jungen finden die Mädchen zickig. Diese sogenannte Geschlechtersegregation ist extrem wichtig für die Entwicklung und Festigung der Geschlechtsrollenidentität. Sehr kleine Kinder wissen schon, ob sie ein Junge oder ein Mädchen sind. Dazu gehört aber noch mehr: das richtige Verhalten, das Aussehen, die Gangart, das Spielen… Dafür sind die gleichgeschlechtlichen Freundschaften in diesem Alter extrem wichtig.
Haben Jungen und Mädchen in der Grundschulzeit also gar keinen Kontakt miteinander?
Es sind nur noch sehr wenige Kinder, die in gemischtgeschlechtlichen Gruppen spielen. Je nach Studie sind das zwischen 3 und 10%. Es gibt aber Rituale, bei denen die Jungs und Mädchen doch noch in Berührung kommen. Jungen rennen dann zum Beispiel so dicht an der Mädchengruppe vorbei, dass sie ein Mädchen schubsen. In der Psychologie nennen wir das Borderwork, also ein Spiel mit den Grenzen. Auf diese Weise wird noch einmal deutlich gemacht: Wir sind hier die Jungen, ihr seid hier die Mädchen.
In welchem Alter ändert sich der Umgang miteinander?
Nach dem Schulübergang und dem Beginn der körperlichen Reife, also zwischen 11 und 13 Jahren, beginnt sich das Sozialverhalten zu verändern. Es lässt sich beobachten, dass die, die solange getrennt voneinander waren, nun beginnen, sich zu beobachten und auch ein Stück aufeinander zugehen. Man sieht oft, dass sich Jungen und Mädchen auf öffentlichen Plätzen verabreden, also in Kaufhäusern oder auf Marktplätzen oder in Parks, aber immer im Schutze einer großen Gruppe.
Beginnen die Jugendlichen in dieser Phase auch schon, sich zu verlieben?
Jugendliche in der 5. bis 8. Klasse, also zwischen 11 und 14 Jahren befinden sich in der ersten Phase der romantischen Entwicklung. Verliebtheitsgefühle sind schon da, doch Beziehungen finden hauptsächlich in der Fantasie statt. Die Person, in die der Junge oder das Mädchen verliebt ist, weiß oft gar nichts davon.
Manchmal werden sich auch schon Briefchen, SMS oder E-Mails geschrieben, was natürlich hochaufregend ist. Doch diese Verliebtheiten sind noch sehr unrealistisch und zielen weniger auf echten Kontakt ab. Es handelt sich eher um einen Probelauf, um Trockenübungen. Viele Mädchen und Jungs sind die ganze Zeit verliebt, dann gibt es auch häufige Trennungen, mit viel Geschrei und Aufregung, aber diese Person, in die man verliebt ist, ist sehr austauschbar.
In welchem Alter beginnen die Jugendlichen dann, Beziehungen zu führen?
Beziehungen können auch schon in dieser frühen Phase entstehen, aber sie haben noch keine wirkliche Tiefe. Sie können zwei Tage dauern oder zwei Wochen oder auch nur Stunden oder auch nur in der Fantasie stattfinden.
Etwas später dann, durch diese vielen verschiedenen Trennungen oder kurzweiligen Verliebtheiten entwickelt sich irgendwann mal eine etwas länger dauernde Beziehung. Dann fangen Jugendliche an, in kleineren Gruppen auszugehen und es bilden sich allmählich Pärchen daraus. Und diese Pärchen gehen irgendwann auch alleine aus und in dieser Phase bemerkt man allmählich eine Veränderung der Qualität der Beziehung. Dieser Junge und dieses Mädchen, die sind jetzt echt gemeint. Es ist jetzt nicht mehr wichtig, wie ich selber wirke oder wie meine beste Freundin diesen Typen jetzt findet, sondern da ist wirklich diese Person als Persönlichkeit gemeint.
In welchem Alter passiert das und wie sehen diese Beziehungen aus?
Nach unseren Studien ist das so mit 16 bis 18 der Fall, also in der Mittel- bis Oberstufe. Es sind mehrere Jahre notwendig, bis aus diesen konfusen, oberflächlichen Beziehungen, im Schutze der besten Freunde, eine Paarebene erreicht wird. Diese Beziehungen sind aber noch immer nicht ausgereift. In dieser dritten Phase, dem „Affection-Stadium“, also Stadium der Zuneigung, sind die Beziehungen extrem idealistisch. Dieser Freund, mit dem man jetzt geht oder diese Freundin, sind das Tollste, das es überhaupt gibt. Von außen betrachtet denkt man oft: „Ach mein Gott, was kann dieser Junge an diesem Mädchen finden“ oder umgekehrt, aber das sind hochgradig idealistische, sehr romantische Beziehungen.
Man kann sehen, dass in diesen frühen Stadien wenig gestritten wird und wenn Konflikte auftreten, werden sie schnell bagatellisiert, um diese fragile Beziehung nicht zu gefährden. Die Beziehungen können jetzt länger dauern, manchmal sogar über ein Jahr. Jetzt ist ein Punkt erreicht, an dem die Beziehung sich weiterentwickeln müsste, denn auch Konflikte sind wichtig für eine Beziehung. Die Trennungen sind jetzt schon sehr schmerzhaft, da man wirklich verliebt war und die Person wirklich geschätzt hat.
Was sind Merkmale einer völlig ausgereiften Beziehung und werden diese mit dem Ende der Schulzeit erreicht?
Im Vergleich zur Affection-Phase wäre ein Merkmal einer ausgereiften Beziehung, dass der Partner realistischer wahrgenommen wird. Erwachsene Paare tendieren dazu, abzuwägen und zu entscheiden, dass die Beziehung es wert ist, weil das Positive überwiegt. Gleichzeitig sehen sie aber auch durchaus das Negative und Kritische.Außerdem werden Konflikte jetzt ausgetragen. Viele ältere Paare streiten sich wie die Kesselflicker, haben furchtbare Auseinandersetzungen, aber sie kommen dann auch zu einem Kompromiss und entwickeln ihre Beziehung auf die Weise weiter.
Man kann das aber nicht pauschalisieren. Es gibt Paare, die haben aus unserer Sicht sehr unharmonische Beziehungen, aber solange beide Seiten damit zufrieden sind, können auch solche Beziehungen sehr lange halten. Es gibt da kein richtig oder falsch. Auch in welchem Alter eine erwachsene Beziehung erreicht wird, lässt sich nicht verallgemeinern. Manche, wenige Paare erreichen diesen Status tatsächlich schon am Ende der Schulzeit, doch oft steckt ein jahrelanger Lernprozess dahinter, der bei vielen selbst mit dreißig noch nicht abgeschlossen ist.
Vielen Dank für das Interview!