Wie kaum eine andere Größe bestimmt die Attraktivität eines Menschen seinen Erfolg bei der Partnersuche. Im Verborgenen prägen Schönheitsideale unser Urteil zwischen Zu- oder Abneigung. Welche Eigenschaften dabei eine Rolle spielen und warum sie das tun, erklärt Psychologe Dr. Martin Gründl im Interview.
Welchen Wert hat körperliche Attraktivität bei der Partnerwahl?
Dr. Gründl: Das Aussehen ist für die Partnerwahl sehr wichtig. Es dominiert den ersten Eindruck und ist daher vor allem ein erstes Selektionskriterium. Wenn eine Person ein bestimmtes Attraktivitätsniveau unterschreitet, scheidet sie als Partner von vornherein aus, weil wir gar kein näheres Interesse an ihr entwickeln. Wir werden so nie erfahren, dass sie möglicherweise wunderbare Charaktereigenschaften gehabt hätte und als Partner bestens zu uns gepasst hätte. Allerdings ist das Aussehen auch nicht für alle gleich wichtig. Männer legen auf das Aussehen einer Partnerin mehr Wert als umgekehrt Frauen, und für junge Menschen spielt das Aussehen eine größere Rolle als für ältere.
Inwiefern stehen körperliche Attraktivität und Charakter in Verbindung?
Objektiv gesehen in gar keiner. Es gibt zahlreiche Studien, die klar belegen, dass es keinen Zusammenhang gibt zwischen der Attraktivität einer Person und ihren mit Persönlichkeitstests gemessenen Charaktereigenschaften. Dennoch sind die meisten Menschen fest überzeugt davon, sie seien in der Lage, den Charakter anderer Menschen anhand von deren Aussehen zu beurteilen. Und hier gibt es ein ausgeprägtes, sogenanntes Attraktivitätsstereotyp: Je schöner ein Mensch ist, desto positivere Charaktereigenschaften werden ihm zugeschrieben. Je hässlicher er ist, desto negativere. Die Menschen urteilen nach dem Motto: „Was schön ist, ist auch gut.“ Es ist jedoch lediglich ein Vorurteil und hat mit den wahren Charaktereigenschaften eines Menschen nichts zu tun.
Unsere Gesellschaft legt insbesondere Wert auf die Attraktivität der Frau, wie erklären Sie das?
Nicht nur unsere Gesellschaft. In allen Kulturen spielt weibliche Attraktivität eine größere Rolle als männliche, und dies war auch in früheren Epochen nicht anders. Wenn solche Werte oder Vorlieben kultur- und zeitübergreifend konstant sind, wird das meist als starker Hinweis dafür gewertet, dass es wohl irgendwelche biologischen Ursachen haben muss, die tief in unseren Genen stecken. Die meisten Attraktivitätsforscher sprechen Attraktivität eine Signalfunktion zu, die etwas über die Qualität einer Person als Fortpflanzungspartner aussagt. Sie soll demnach z. B. etwas über Gesundheit oder Fruchtbarkeit aussagen. Da viele Attraktivitätsmerkmale etwas mit Jugendlichkeit zu tun haben und gleichzeitig bei Frauen die Fortpflanzungsfähigkeit stärker an das Alter gekoppelt ist als bei Männern, könnte dies ein Grund sein, warum auch heutzutage noch bei Frauen stärker auf solche Merkmale geachtet wird als bei Männern.
Ihre Forschungen haben ergeben, dass computergenerierten „Durschnitts-Gesichter“ im Vergleich zu realen Gesichtern attraktiver sind. Wie erklären Sie das?
Das liegt in erster Linie an der glatten, makellosen Haut dieser Gesichter. Dadurch wirkt die Haut gesünder und jünger. Es ist jedoch ein Artefakt der sogenannten Morphing-Programme, mit denen solche Gesichter erzeugt werden, also quasi ein unerwünschtes Nebenprodukt dieser Methode. Es liegt also – anders als man in früheren Untersuchungen dachte – nicht daran, dass durchschnittliche Gesichtsproportionen besonders attraktiv wären.
Aus welchen Faktoren setzt sich Attraktivität zusammen? Gibt es Faktoren, die allgemein wichtiger sind als andere?
Die wichtigsten Kriterien sind solche Merkmale, die auf Jugendlichkeit und Gesundheit schließen lassen. Hier ist insbesondere eine makellose Haut hervorzuheben. Wichtig ist auch ein geschlechtstypisches Aussehen. Frauengesichter erscheinen durch typisch feminine Merkmale attraktiv; dies sind vor allem auch Gesichtsproportionen, die in Richtung des Kindchenschemas gehen. Bei Männergesichtern sind es tendenziell maskuline Merkmale, die aber auf keinen Fall zu stark ausgeprägt sein dürfen, sonst kippen Männergesichter auch schnell ins Unattraktive.
Attraktivität wird über mehrere Sinne vermittelt, welcher davon prägt unser Urteil am stärksten?
Die wichtigste Rolle spielt beim Menschen das Sehen. Danach kommt ganz lange gar nichts. Zwar kann auch eine angenehme Stimme einen Menschen attraktiv machen, und es gibt auch Forschung zum Einfluss des Körpergeruchs, aber in Zeiten von Duschgel und Deo hat der Geruchssinn für die Partnerwahl keine praktische Relevanz mehr. Die Optik entscheidet.
Warum verändern sich Schönheitsideale mit der Zeit? Gibt es stabile Attraktivitätsmerkmale?
Manche Kriterien ziehen sich als Konstante durch die Menschheitsgeschichte. Es ist beispielsweise keine Kultur oder Epoche bekannt, in der ein altes oder ungesundes Aussehen als Ideal angesehen worden wäre. Andere Merkmale hingegen haben sich verändert. Zu nennen sind hier insbesondere die blasse Haut und die üppigere Körperfülle, die in früheren Jahrhunderten – insbesondere für Frauen – ein Schönheitsideal waren. Beide Merkmale waren früher Statussymbole, die sich nur wenige leisten konnten. Die große Mehrheit wurde durch die Arbeit im Freien zwangsläufig braun und blieb durch Nahrungsmangel zwangsläufig schlank. Heute ist in den westlichen Industriekulturen Übergewicht tendenziell ein Merkmal der sozialen Unterschicht und eine gebräunte Haut steht für Vitalität, Sportlichkeit und dafür, dass man sich einen Urlaub im Süden leisten kann. Ändern sich also die gesellschaftlichen Verhältnisse, ändern sich manchmal ebenfalls Statussymbole und damit auch Attraktivitätskriterien, die als Statussymbole dienen.
Warum gelten Blondinen attraktiver als Frauen anderer Haarfarbe? Und warum wird ihnen oft eine unterdurchschnittliche Intelligenz unterstellt?
Für Attraktivität ist die Haarfarbe generell relativ unbedeutend, solange die Haare nicht grau oder weiß sind, denn dies ist ein Altersmerkmal und macht deswegen unattraktiv. Ansonsten ist die Haarfarbe in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit aber stark überschätzt. Zudem ist der Begriff „Blondine“ eigentlich schief definiert. Man versteht darunter nämlich eben NICHT, dass eine Frau einfach nur blonde Haare hat. Sondern unter einer Blondine stellen sich die meisten Leute eine attraktive, junge Frau mit langen (!) Haaren und einer sexy Figur vor. Eine unattraktive, alte Frau mit kurzen Haaren und Übergewicht würde keiner als Blondine bezeichnen, selbst wenn ihre Haare blond sind. Im deutschen Begriff „Blondine“ steckt das Schönsein also implizit schon mit drin. Deshalb ist aus meiner Sicht die Frage, warum blonde Haare eine Blondine attraktiv machen, sinnlos. Zur Intelligenz: Ich kenne keine wissenschaftlichen Studien, die belegen würden, dass blonde Frauen weniger intelligent eingeschätzt würden. Es gibt aber Studien, die zeigen, dass rothaarige Frauen für weniger intelligent gehalten werden. Dasselbe gilt aber auch für rothaarige Männer.
Sie haben umfassende Studien zum Thema Attraktivität durchgeführt. Was können uns Ihre Ergebnisse für den Alltag mitgeben?
Schönheit übt auf uns alle eine enorme Macht aus, aber wir neigen alle dazu, es zu leugnen. Wir behaupten beispielsweise, wir würden bei der christlichen Partnersuche auf die inneren Werte achten und sind in Wahrheit völlig fixiert auf das Äußere. Wir tun so, als wäre uns unser eigenes Aussehen gar nicht so wichtig, und versuchen dennoch ständig, unser Aussehen zu optimieren – vom Make-up übers Haare Färben bis hin zur ästhetischen Medizin. Wir beurteilen unsere Mitmenschen permanent nach dem Aussehen und liegen damit regelmäßig daneben, halten aber unsere Vorurteile für Menschenkenntnis. Wir sollten uns viel stärker bewusst machen, welchen Einfluss Schönheit auf uns hat und uns ehrlich eingestehen, was sie uns tatsächlich bedeutet, was wir uns von ihr erwarten – und was nicht. Ansonsten fallen wir immer wieder auf sie herein, lassen uns von ihr blenden und von wichtigeren Dingen im Leben ablenken.
Vielen Dank für das Interview!
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