Viele Menschen wünschen sich eine glückliche und erfüllte Beziehung, doch bei vielen will es einfach nicht gelingen. Der Grund dafür ist entweder, dass sie sich entweder immer den falschen Partner verlieben, die Beziehung zerbricht, sobald sie beginnt etwas enger zu werden oder sich einer der Partner in der Beziehung sich trotzdem alleingelassen fühlt. Hinter vielen dieser Beziehungsprobleme stecken häufig Bindungsängste. Im Interview sprechen wir mit Psychotherapeutin Stefanie Stahl über das Thema Bindungsängste und ihr aktuelles Buch „Jein! – Bindungsängste erkennen und bewältigen“.
Stefanie Stahl, Ihr Ratgeber trägt den Titel „Jein! – Bindungsängste erkennen und bewältigen“. Was genau versteht man unter dem Begriff „Bindungsangst“?
Darunter versteht man die Angst eines Menschen, sich auf eine tiefe und exklusive Liebesbeziehung einzulassen. Dabei nehmen die Betroffenen diese Angst als solche nicht unbedingt wahr.
Häufig verspüren sie nur einen diffusen Wunsch nach Freiheit beziehungsweise fühlen sie sich in Liebesbeziehungen schnell eingeengt und/oder ihre Gefühle für den Partner versanden nach einer verliebten Anfangsphase wieder. Viele tappen im Dunkeln, was eigentlich ihr Problem ist. Häufig meinen sie, sie hätten den oder die Richtige einfach noch nicht gefunden.
Wodurch entsteht die Angst vor emotionaler Nähe?
Bei starken Bindungsängsten spielen Kindheitserfahrungen fast immer eine wichtige Rolle. Die Betroffenen haben als Kleinkinder und Babys Abhängigkeit und Bindung als etwas Bedrohliches erfahren. Sie haben sozusagen kein Urvertrauen entwickelt. Dies lässt sie als Erwachsene vor Nähe und Abhängigkeit zurückschrecken.
Bei vielen Betroffenen war die Liebe ihrer Eltern auch an zu viele Bedingungen geknüpft, so dass sie als Kinder unbewusst gelernt haben: Wenn ich geliebt werden will, muss ich mich den Erwartungen meiner Eltern beugen. Dies bewirkt später, dass sie unbewusst immer die Angst aufweisen in Liebesbeziehungen ihre Autonomie, ihr „wahres Ich“ opfern zu müssen. Eine Partnerschaft kommt aber ohne Erwartungen und Verantwortung nicht aus.
Aber auch Enttäuschungen im Jugend- und Erwachsenenalter können zu Bindungsängsten führen.
In welchen verschiedenen Formen treten Bindungsängste auf?
Die Auswirkungen von Bindungsängsten sind recht unterschiedlich. Manche Betroffene verspüren ganz deutlich ein Angstgefühl, andere empfinden eher Gleichgültigkeit gegenüber ihrem Partner. In meinem Buch unterscheide ich den Maurer, die Prinzessin und den Jäger. Wobei bei allen drei Formen Frauen wie Männer betroffen sein können. Kurz formuliert hält der Typ „Maurer“ seinen Partner auf Distanz, indem er „mauert“. Dies ist eine passive Art der Nähe-Vermeidung, indem der Betroffene beispielsweise gern in die Arbeit und/oder in Hobbys flüchtet.
Bei der Prinzessin oder dem Prinzen hingegen legt sich nach einer stürmischen Anfangsphase die Verliebtheit wieder schnell, weil sie keine Schwächen ihres Partners akzeptieren können. Sie suchen nach dem perfekten Partner, den sie natürlich nie finden. Der Jäger oder die Jägerin hingegen, sind an der Jagd an solche interessiert. Sobald sie den Partner wirklich sicher haben, verlieren sie schnell wieder das Interesse. Allen Bindungsängstlichen ist gemeinsam, dass sie die Grenzen in der Beziehung abstecken. Sie sind sozusagen die Alleinherrscher über Nähe und Distanz in der Partnerschaft.
Was sind typische Merkmale und Verhaltensmuster von Betroffenen?
Das typischste Merkmal ist, dass die Betroffenen, nach einer verliebten Anfangsphase, eine innere Zerrissenheit verspüren. Sie fühlen in Bezug auf ihren Partner ein „Jein“. Folglich sind sie in der Partnerschaft irgendwie da, aber auch nicht da – sie pendeln ständig zwischen Nähe und Distanz. So erfolgt beispielsweise auf eine leidenschaftliche Nacht ein Rückzug, indem der Bindungsängstliche innerlich oder äußerlich erst einmal wieder Distanz einlegt.
Der Partner möchte mehr Nähe und der Bindungsängstliche mehr Freiraum. Bindungsängstliche Beziehungen sind häufig On-Off-Beziehungen. Wenn der Bindungsängstliche sich nämlich von seinem Partner zu sehr bedrängt fühlt, dann macht er Schluss. Da er ohne den Partner aber auch nicht gut klar kommt, folgt darauf häufig eine Wiederannäherung und das Spiel geht von vorne los.
Gibt es Unterschiede zwischen Frauen und Männern?
Meines Erachtens sind mehr Männer als Frauen von Bindungsangst betroffen. Ich denke, dass die männlichen Gene hier eine wichtige Rolle spielen. Frauen sind genetisch stärker als Männer auf Bindung und Familie programmiert. Allerdings gibt es auch einige bindungsängstliche Frauen. Grundsätzlich habe ich den Eindruck, dass Frauen etwas reflektierter mit dem Problem als Männer umgehen. Das mag daran liegen, dass Frauen eher geneigt sind, sich mit ihren Gefühlen und dem Thema Beziehung auseinanderzusetzen als Männer, die sich häufig lieber Sachthemen zuwenden.
Welche Auswirkungen können Bindungsängste auf den Partner haben?
Die Partner von Bindungsängstlichen sind in der Regel chronisch verunsichert. Sie leiden unter einem emotionalen Kontrollverlust und fühlen sich hilflos, weil sie kaum einen Einfluss auf die Distanzmanöver des Bindungsängstlichen nehmen können.
Dies führt meist dazu, dass sie immer mehr um die Beziehung kämpfen – nach dem Motto: Ich muss noch schöner, noch netter, noch kompetenter usw. werden, damit mein Partner sich mir ganz hingibt.Bindungsängstliche Beziehungen können einen ungeheuren Sog ausüben, weil der Partner in beständiger Verlustangst lebt.
Alle seine Gedanken und Gefühle drehen sich nur noch um die Beziehung, er kann kaum noch abschalten. Hier ergibt sich oft ein Teufelskreislauf: Die Verlustangst wird oft mit dem Gefühl der „großen Liebe“ verwechselt. Gerade, weil der Bindungsängstliche sich nie richtig einlässt, erweckt er in seinem Partner leidenschaftliche Sehnsucht nach mehr Nähe. Die Partner von Bindungsängstlichen leben beständig in der Hoffnung, dass sich alles noch zum Guten wendet. Diese Hoffnung lässt sie zumeist auch viel zu lange an der Beziehung festhalten.
Sind Bindungsängste therapierbar? Was können Betroffene tun?
Bindungsängste sind therapierbar, zumindest kann man sie durch Psychotherapie so weit reduzieren, dass sie für den Betroffenen handhabbar werden. Das Wichtigste ist, dass die Betroffenen überhaupt einmal ihr Problem erkennen. Denn erst dann können sie sich gezielt damit auseinandersetzen. Bindungsängste resultieren letztlich aus einem labilen Selbstwertgefühl. So weisen Bindungsängstliche im tiefsten Inneren die Überzeugung auf, dass sie früher oder später sowieso verlassen werden. Davor schützen sie sich, indem sie den Partner soweit auf Distanz halten, dass sie möglichst wenig enttäuscht werden können.
Bindungsängstliche haben einen tiefen inneren Konflikt zwischen ihrem Bedürfnis nach Unabhängigkeit und Autonomie und ihrem Bedürfnis nach Nähe und Abhängigkeit. In der Psychotherapie geht es darum, im ersten Schritt diese tiefliegenden Ängste und Konflikte bewusst zu machen. Im zweiten Schritt geht es darum, den Selbstwert des Betroffenen zu stärken, so dass er sich einer Liebesbeziehung gewachsen fühlt und nicht mehr davon laufen muss.
Dieses Interview wurde schriftlich durchgeführt.
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